17 Juni 2019   5586   6 min

Design Thinking: Ein neuer Ansatz für Innovation und Zusammenarbeit

Design Thinking ist ein Innovationsansatz, der den Menschen in den Mittelpunkt der Entwicklungsarbeit stellt. Aber was ist Design Thinking konkret, wie führt der Ansatz zu Innovationen und warum ist die Visualisierung ein so wichtiges Element in den Innovationsprozessen? Um mehr über die zugrunde liegende Philosophie zu erfahren, sprachen wir mit Dr. Claudia Nicolai, Academic Director & Co-Head an der Design-School des Hasso-Plattner-Instituts in Potsdam, der führenden akademischen Design Thinking Institution in Europa.

Was ist Ihre Rolle an der HPI D-School?

"Als Academic Director/Co-Head an der HPI D-School liegen meine Arbeitsschwerpunkte in der Programmgestaltung für unsere vier Studiengänge und unser Coaching-Programm, in Forschungsprojekten zum Thema Design Thinking sowie in der Entwicklung von Innovationsprojekten mit Partnerunternehmen und -organisationen. Darüber hinaus nutze ich meine Erfahrung, um neue D-Schools, wie z.B. in Malaysia, Südafrika und Chile, bei der strategischen Ausrichtung zu unterstützen. Ich arbeite eng mit Prof. Ulrich Weinberg, unserem Director, zusammen und wir ergänzen uns sehr gut. Unsere unterschiedlichen Hintergründe führen auch zu unterschiedlichen Perspektiven auf das "Design Thinking", was wirklich bereichernd ist."

Viele Menschen haben wahrscheinlich noch nie zuvor von "Design Thinking" gehört. Wie erklären Sie einem Fremden auf einer Geburtstagsfeier "Design Thinking"?

"Hm, da gibt es keine einfache Antwort, fürchte ich. Ich würde sagen, dass es ein neuartiger Ansatz ist, der auf kreativem Denken und Handeln in Teams basiert, um neue Dinge in der Welt zu entdecken. Die Methoden können auf Produkt- und Dienstleistungsinnovationen angewendet werden, wenn es um einen externen Fokus geht, aber auch auf Business Designs, interne Veränderungsprozesse und die Identifizierung strategischer Zukunftsperspektiven.
Als Beispiel: Wenn ein Automobilkonzern, der immer Autos gebaut hat, sagt: "Ich will Mobilitätsanbieter werden" - was bedeutet das? Hier wäre es zu kurzsichtig, um nur das Produktangebot, das Fahr- oder Serviceverhalten zu verbessern. Denn wenn man sich als Unternehmen neu erfinden will, indem man völlig neue strategische Lösungen und neue Organisationsnetzwerke entwirft, muss man eine systemische Design Thinking-Perspektive anwenden, die über die Benutzerzentriertheit hinausgeht."

„Unser Ziel ist es immer, das verteilte Wissen auf konzentrierte Weise zusammenzuführen.“

Was sind die wichtigsten Voraussetzungen für erfolgreiches "Design Thinking"?

"Für mich sind das die folgenden vier Prinzipien. Das erste Prinzip ist Empathie: Verstehe ich die Kunden von heute und morgen? Kann ich sie in die Zukunft führen und anbieten, was für sie wertvoll ist? Aber das gilt ebenso für die interne Sicht - habe ich auch Empathie für meine Teammitglieder?
Das zweite Prinzip ist die Erkundung. Design Thinking ist als iterativer Prozess konzipiert, was bedeutet, dass wir nicht nur eine Lösung haben, sondern versuchen, frühzeitig mehrere Prototypen zu bauen.
Dies führt zu dem dritten Prinzip dem Experimentieren und sich herausfordern, mögliche Zukunftstechnologien wie künstliche Intelligenz zu integrieren.
Und das Vierte ist das Engagement - das Engagement für das Team, nicht nur kreativ zu sein, sondern auch Verantwortung für die Umsetzung von Ideen zu übernehmen. Sich wirklich auf das Team zu konzentrieren und präsent zu sein, ist sehr wichtig."

Welchen Hintergrund haben Design Thinker typischerweise?

"Im Idealfall besteht das Team aus den unterschiedlichsten Charakteren, denn die Vielfalt der Kompetenzen ist bei der Suche nach neuen Lösungen unglaublich wertvoll. Natürlich können Sie immer Designspezialisten bitten, sich auf Designherausforderungen zu konzentrieren, aber vielleicht hat auch jemand, der aus dem Kulturmanagement, ein Ingenieur oder ein Datenanalytiker gute Beiträge. Unser Ziel ist es immer, das verteilte Wissen auf konzentrierte Weise zusammenzuführen. Im Idealfall profitiert das Team davon, wie Menschen in ihrer Herangehensweise an die Dinge unterschiedlich gestaltet sind, denn der Design Thinking Prozess erfordert sowohl rationales als auch intuitives Denken in verschiedenen Phasen."

"Visualisierung macht die Kommunikation transparenter, verständlicher und verlangsamt sie ein wenig."

Warum ist es so wichtig während der Zusammenarbeit, Ideen nicht nur zu teilen, sondern auch zu visualisieren?

"Das hat mit drei Dingen zu tun. Das erste ist natürlich der Kern der Visualisierung - ein Bild sagt mehr als tausend Worte und vor allem mehr darüber, wie ich mir eine Idee wirklich vorstelle. Wenn ich zum Beispiel "persönlicher Service" sage - was ist meine Vorstellung von "persönlicher Service"? Reicht es aus, wenn ich an der Hotelrezeption mit meinem Namen angesprochen werde? Oder will ich ein Stück Schokolade auf meinem Kissen? Oder wenn ich unter dem Bett nachschaue, dass es ein Schild gibt "ja, wir haben hier auch gesaugt"? Oder ist es ein persönlicher Butler, ein Roboter oder ein Call Center? Die Visualisierung hilft, das, was ich meine, zu verdeutlichen.

Zweitens geht es darum, die Kommunikation transparenter und verständlicher und auch reflektierender zu machen, denn manchmal reagieren wir sehr schnell auf andere mit Worten, ohne viel zu denken. Wenn ich meine Gedanken zuerst visualisiere, habe ich bereits begonnen, darüber nachzudenken, ob es eine gute Idee ist oder nicht.

Drittens ist es auch wichtig, dass das Team seine Ideen aktiv aufzeichnet, indem es sie visualisiert und aufschreibt, um zu verstehen, was es im Moment für wichtig hält."

"Es ist wirklich wichtig, ein bestimmtes Visualisierungswerkzeug bewusst einzusetzen."

Wird in unterschiedlichen Phasen des Design-Thinking-Prozesses anders visualisiert?

"Absolut, zum Beispiel am Anfang dient die Visualisierung vor allem dazu, gemeinsam eine Struktur zu erarbeiten und ein gemeinsames Problemverständnis zu entwickeln. Teams erstellen in der Regel gemeinsam eine Concept Map, in der sie ihre Definitionen aufschreiben, Stakeholder, Prozesse und Nutzerreisen abbilden, die sie gemeinsam auf einem Whiteboard skizzieren.

Besonders am Anfang arbeiten wir hauptsächlich mit analogen Visualisierungstools, die, wenn Sie so wollen, eine radikal andere Art der Zusammenarbeit in unserem digitalen Zeitalter sind. Viele unserer Studenten sind eigentlich sehr gut mit virtuellen Tools und virtuellen Plattformen, aber wir wollen ihnen beibringen, dass es in erster Linie darum geht, ein Gespräch zu führen, das durch Visualisierung erleichtert wird. Unsere Erfahrung zeigt, dass der Einsatz von virtuellen Plattformen von Anfang an einen großen Einfluss auf das Team hat. Die Arbeit mit analogen Instrumenten ist viel demokratischer und unterstreicht den Grundsatz der Beteiligung und Mitgestaltung. Und wenn Sie das verstanden haben, können Sie das dann wieder in eine virtuelle Welt übertragen und dort anwenden. Tatsächlich ist es meiner Meinung nach sinnvoll, mit jeder Art von Projektteam zu diskutieren und zu entscheiden, was analog oder virtuell gemacht wird und warum. Es ist sehr wichtig, ein bestimmtes Visualisierungswerkzeug bewusst einzusetzen."